WIR-SIND-BOES!

Anschreiben ans Jobcenter
 

Jobcenter

Geschäftsführung

-    persönlich -

Sickingenstr. 70
10553 Berlin

Berlin, 06.11.2012

 

Sanktionierung von Herrn Ralph Boes durch das Jobcenter Mitte

Sehr geehrter Herr ...,

ich habe Sie bereits am 05.10.2012 angeschrieben und bis heute keine Antwort erhalten. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich die Zeit nehmen könnten, mir zu antworten. Mich interessiert weiterhin, warum in Ihrem Haus trotz Verfassungswidrigkeit sanktioniert wird. (Siehe Ralph Boes *955A123521*)

Ich kann mir kaum vorstellen, dass Ihnen das entsprechende Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht bekannt ist, welches jedem Bundesbürger ein menschenwürdiges Existenzminimum zusichert. Andererseits kann ich mir auch nicht vorstellen, dass in Jobcentern und Argen absichtlich Verfassungsbruch begangen wird. So kann ich nur mutmaßen. Vielleicht handeln Sie aus purer Unkenntnis? Ich bin gerne bereit, Aufklärungsarbeit zu leisten und weise Sie auf folgendes Urteil hin:

Leitsätze zum Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Februar 2010

- 1 BvL 1/09 -

- 1 BvL 3/09 -

- 1 BvL 4/09 -

1. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.

2. Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu.

3. Zur Ermittlung des Anspruchumfangs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen.

4. Der Gesetzgeber kann den typischen Bedarf zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums durch einen monatlichen Festbetrag decken, muss aber für einen darüber hinausgehenden unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf einen zusätzlichen Leistungsanspruch einräumen.

Im Weiteren interessiert mich, wie genau Sie den Fall Boes bewerten. Herr Boes wird seit dem 01.11.2012 mit 90% sanktioniert, so dass ihm von seinem Regelsatz 37,40 Euro pro Monat bleiben. Geht man davon aus, dass er davon noch Strom und Telefon zu zahlen hat, bleibt kein Einkommen mehr, von dem er sich ernähren könnte. Wie Sie sicherlich wissen, hungert Herr Boes folgerichtig seit dem 01.11.2012. Selbst wenn Sie die Gesetzeslage nicht kennen sollten, kommt doch spätestens jetzt der gesunde Menschenverstand ins Spiel. Ein Mensch, der keine Nahrung hat, wird verhungern. Ein Schicksal, dass Herr Boes vermutlich mit vielen sanktionierten Bundesbürgern teilt. Mich interessiert, ob Sie den Tod von Herrn Boes tatsächlich einkalkulieren? (Bisher dachte ich, dass sanktionierte ALG-II-Empfänger einen Anspruch auf Lebensmittelgutscheine haben. Wie ich nun aber erfuhr, handelt es sich dabei lediglich um eine „Kann“-Leistung. Ob jemand schlussendlich verhungert, hängt also von der Laune eines Sachbearbeiters ab. Das hat mich doch sehr überrascht.)

Herr Boes, der meines Wissens nie straffällig geworden ist, wird härter „bestraft“ (wofür?), als jeder Straftäter. Mir ist kein Fall in Deutschland bekannt, in dem ein Verbrecher in Haft aufgrund von staatlich angeordneter Sanktionierung verhungert oder erfroren wäre.

Der Logik nach könnte Herr Boes seine missliche Lage durch einen Mord, nach dessen Vollzug er sich selbst stellen würde, umgehend entschärfen. Auf Jahre hin hätte er damit Kost, Logis und Gesundheitsversorgung sichergestellt und wäre vor Obdachlosigkeit und Callcenter-Jobs geschützt. Sie mögen diesen Gedankengang grotesk oder belustigend finden, ich hingegen halte eine Gesetzeslage, die diese Logik hervorbringt, für grotesk. Wie kann das Ablehnen von Callcenter-Jobs härter bestraft werden als ein Mord?!

Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir Ihre persönliche Einschätzung zu dem Thema mitteilen würden.

Mit freundlichen Grüßen